Lohstraße: Wo Kulturen aufeinander prallen

die Lohstraße baut Brücken zwischen Kulturen und regelmäßig auch neue Gebäude.

Der Wind pfeift durch die kahlen Äste an diesem Morgen. Längst nicht so heftig wie am 25. August 1956, als eine Windhose durch die Lohstraße fegte und große Bäume entwurzelte. Aber es pfeift. Überhaupt: Pfeifen, Heulen, schrilles Klingeln und Glockengeläut. Autolärm, Pausenhofgetöse, Polizei- und Schulchor. Wäre die Lohstraße eine Klangcollage, könnte sie mit ihrer reichhaltigen Palette angeben. In der „Abkürzstraße“ zwischen Deister- und Kaiserstraße ist die Zahl der Häuser zwischen Polizeiwache, Kirche, Kita und Wilhelm-Raabe-Schule überschaubar. Geschätzt die Hälfte der Namen auf den Klingelschildern klingt ausländisch. Der Migrantenanteil ist hoch in der Lohstraße. An einer Tür öffnet eine junge Frau, ein kleiner Lockenkopf umklammert ihr Bein. „Kann kein Deutsch“, sagt sie. Eine Antwort, die noch öfter kommt.

Ein Anwohner sagt, dass es zu viele Ausländer geworden seien in den letzten Jahren in der Lohstraße und das zu viel passiere. Er will seinen Namen nicht sagen. Hat Angst, „in die rechte Ecke“ gestellt zu werden. Gegenüber bei der Polizei wird die Straße als unauffällig eingeschätzt, die Anzahl der Straftaten sei eher niedrig. Eine Frau, die ebenfalls anonym bleiben will, stört der hohe Migrantenanteil nicht. Zumindest wenn es ums Wohnen geht. Beim Kitaplatz sieht es anders aus: Weil in der St.-Augustinus-Kita zu viele Migranten sind, bevorzugt sie für ihre Kinder eine Einrichtung im Klütviertel.

Little Istanbul

Es stimmt, in der Lohstraße prallen Kulturen aufeinander. Mehr vielleicht als in der benachbarten Deisterstraße, die auch bei Dilber und Yasin Erceyas „Klein Istanbul“ heißt und in der sie früher gewohnt haben. Dilbers Familie wohnt in der Nähe, sie mag die Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke und auch die Menschen. Ob sie Vorurteile spürt? „Manchmal“, sagt Dilber. Die ältere Frau im Haus, die nie zurück grüßte, obwohl sie jedes Mal laut „Hallo“ gesagt hat, die war so ein Fall. Aber es gebe auch gute Beispiele. „Menschen sind Menschen“, sagt Dilber.

Dilber und Yasin Erceyas leben mit ihren Kindern gern in der Lohstraße. Foto: doro

„Bei uns wohnen Türken, Kurden, Jugoslawen, Russen und Deutsche im Haus,“ sagt ihr Mann. „Wir müssen zusammenhalten.“ Nach einer Pause: „In ganz Hameln.“ Was Yasin stört: Dass er ewig nach einem Parkplatz suchen muss. Dass es kaum Spielplätze in der Nähe gibt, auf die sie mit Sohn Altaha (1,5) und bald auch mit Tochter Asra (10 Monate) gehen könnten. „Immerhin ist es ruhiger“, sagt Dilber. „Die Deisterstraße war nur während der WM besser.“

Alles in Reichweite

Martina Rückert verbindet die Lohstraße durchaus mit Lärm – vor allem in den zweieinhalb Jahren, in denen das ehemalige Hotel Monopol saniert wurde. Sie wohnt mit Mann, Sohn und Tochter direkt nebenan. In die Wohnung mit dem ungewöhnlichen Wintergarten hat sie sich sofort verliebt. Von der Straße fällt der lichte Raum, den man eher im Grünen erwarten würde, sofort ins Auge. Sitzt man auf dem Sofa, kann man das Treiben der Lohstraße im Großformat an sich vorbeiziehen lassen.

Von ihrem Wintergarten aus hat Martina Rückert die Lohstraße gut im Blick. Foto: doro

Auch auf der anderen Seite des Hauses ist bald Baustelle: Ein Haus aus der Gründerzeit soll hochpreisigen Eigentumswohnungen weichen (siehe Seite 11). „Schade“, findet die 56-Jährige. Insgesamt verändere sich das Umfeld aber zum Positiven, auch durch die vielen Praxen. Und einkaufen und essen sei prima im Kiez. Das Auto braucht sie kaum.

Zwischen Abrissen und Neubauten

Ein Stück weiter, gegenüber dem Kindergarten, steht ein Haus, das die architektonische Experimentierfreude der 70er Jahre versprüht: Die braungrüne Fassade mit den klobigen Erkersperenzchen ist nicht zu übersehen. Gisela Nolting ist erst im Juli im Erdgeschoss eingezogen. Das Viertel aber kennt sie wie ihre Westentasche: Ringsherum hat sie gewohnt. Wollte nie woanders hin. Hat von der Bennigsenstraße aus gesehen, wie ihr heutiges Heim in die Höhe wuchs und dabei das kleine Fachwerkhaus verdrängte, das sie so mochte. Hat erlebt, wie Kirche, Arbeitsamt und Polizeiwache entstanden. Und wie die „Tivoli-Zwitsche“ – der Weg, der durch die Gärten zur Bahnhofstraße führte –
verschwand. In der Zentralstraße gehörte der Familie ein Blumengeschäft. „Oh ja, es gab viele Geschäfte hier, wir hatten alles“, sagt die 75-Jährige. „Jetzt ist nischt mehr da.“

Gisela Nolting wohnt erst seit Juli in der Lohstraße, das Viertel aber kennt sie wie ihre Westentasche. Foto: doro

Gisela Noltings Blick schweift auf den Balkon. Im Wind schaukeln ihre Vogelfutterstellen. Vogelhäuschen aus Holz stehen darunter. „Das ist so schön, wenn die Meisen kommen.“ Sie ist sich sicher, dass es dieselben sind wie auf dem Balkon in der Bennigsenstraße. Im Sommer ist Gisela Nolting gern bis spät dort draußen. Mag es besonders gern, wenn der Polizeichor bei geöffnetem Fenster übt. Oder der Schulchor auf der anderen Straßenseite. An das Martinshorn der Polizei hat sie sich gewöhnt, hört das Glockengeläut gar nicht mehr. Manche Jungs in der Nachbarschaft würde sie lieber auch nicht hören „Frech bis zum Gehtnichtmehr in einem gewissen Alter“, sagt sie. Gegen die Ausländer in der Straße hat sie nichts. Mindestens zwei in jedem Haus seien es wohl. In ihren Eigentumswohnungen vermietet sie trotzdem lieber an deutsche Mieter.

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Die Geschichte der Straße

Loe- oder Locfeld war die Flurbezeichnung für die heutigen Lohstraße, in deren Bereich ein alter Weserarm vermutet wird. 1881 bekam sie ihren Namen, war aber bis in die 50er Jahre ab Vizelin- bzw. Bennigsenstraße Richtung Süden fast unbebaut. Ausnahme: die Mittelschule, 1913 gebaut, die damals auf der grünen Wiese lag. Dort, wo heute die katholische Kirche steht, stand das Tivoli, eine Vergnügungsstätte. Nach dem Abriss waren zwischen Innenstadt und Bahnhof lange Zeit nur Gärten. Die neue katholische St.-Augustinus-Kirche wurde 1954 geweiht, das neue Polizeidienstgebäude, seit 1946 im Bahnhofshotel stationiert, wurde 1955 übergeben.

Nachgezählt

  • Hausnummern: 1 bis 39, teilweise A und B, einige Nummern fehlen ganz
  • Einwohner 155, davon 83 weiblich, 72 männlich
  • 17 Unter-18-Jährige
  • 5 Hunde
  • 23 Gewerbe
  • 4 Papierkörbe
  • 1 Briefkasten
  • öffentliches Telefon
  • 1 Zigarettenautomat

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