Am Breiten Weg gibt es fast alles

Am Breiten Weg bist du entweder Kunde, Nachbar oder beides.

Wer den Breiten Weg beschreiben will, kommt an Marie Susdorf nicht vorbei. Mit 93 Jahren steht sie immer noch jeden Tag hinter der Theke der Bäckerei in der Nummer 21 – und das seit mittlerweile fast 60 Jahren. 1957 hatten sie und ihr Mann die damalige Bäckerei Twellmeyer im Breiten Weg übernommen. Auf die Frage, ob Jubiläum groß gefeiert wird, winkt Frau Susdorf jedoch an und sagt ganz pragmatisch, sie hoffe einfach, dass sie diesen Tag noch erlebt.

Seit fast 60 Jahren steht Marie Susdorf in der Bäckerei hinter der Theke. Foto: nt

Wenn man die 93-Jährige mitten im größten Gewusel durch den Laden huschen sieht, hat man daran aber keinen Zweifel. Seit vier Jahren hatte sie keinen Urlaub, zu groß ist das Verantwortungsgefühl dem Laden gegenüber. Immerhin sei damals in den 50er Jahren schwer gewesen sich – bei zwei konkurrierenden Bäckern – etwas aufzubauen. Und mittlerweile sei die Konkurrenz durch die Supermärkte, die neben Lebensmitteln ja auch Backwaren im Sortiment haben, sehr groß.

Stammkunden und Nachbarschaft in Einem

Auch Karl-Heinz Lege ist eigentlich im Rentenalter und steht trotzdem noch im Laden. Er ist auf dem Breiten Weg aufgewachsen und erinnert sich sehr gerne an seine Kindheit zurück. Früher sei hier alles viel grüner und idyllischer gewesen. Auf der einen Seite gleich der Wald, auf der anderen die Weser. Und zum Baden gingen die Kinder zum Tonloch, so nennt er den Ludwigssee gleich hinter dem Penny-Markt auf der Klütstraße. Über die Jahre sind dann aber viele Grünflächen im Viertel bebaut.

Karl-Heinz Lege lebte mehrere Jahrzehnte auf dem Breiten Weg. Heute hat er dort sein Geschäft. Foto: nin

Für Lege ist der Breite Weg aber immer noch die „Straße schlechthin“, weil es hier alles gebe, was man braucht. Einige Einschränkungen macht er jedoch auch, denn zum Beispiel einen Lebensmittelladen gibt es nicht. Der letzte habe vor vier Jahren geschlossen, erinnert er sich. Dass auch die einzige Sparkassenfiliale im Klütviertel dichtgemacht hat, ärgert ihn und viele Anwohner besonders. Das sei speziell für die alten Menschen, von denen es im Breiten Weg viele gibt, ein Problem.

Seit etwa vier Jahren lebt Lege nicht mehr im Breiten Weg, verbringt aber dennoch fast jeden Tag viel Zeit dort und zwar in seinem Friseursalon. Diesen hat er vor knapp 40 Jahren von seinem Vater übernommen, nun hofft er auf seinen Sohn als Nachfolger. Familiengeschäft eben – davon gibt es nicht nur eins im Breiten Weg. Noch steht Karl-Heinz Lege mit seinen knapp 70 Jahren aber selbst im Laden. Dort bekommt er auch viel von den Sorgen und Nöten der Anwohner mit, denn nicht nur die in der Kneipe kommen die Leute ins Reden, auch beim Friseur.

Wer hier lebt, liebt es

Eine Art Kummerkasten ist auch der Kiosk von Rita Berg am Anfang des Breiten Wegs. Auf die Frage, was die Leute hier bewegt, spricht auch die gleich die Themen Sparkasse und Einkaufsmöglichkeiten für Ältere an. Dennoch sei es so: ‚‚Wer hier lebt, liebt es.‘‘ Sie selbst wohnt erst seit wenigen Jahren am Breiten Weg, davor jedoch lange Zeit im Schifferweg quasi gleich um die Ecke. Die Nachbarschaft habe sie aber erst so richtig kennengelernt, seit sie den Kiosk betreibe. Übernommen hat sie das Geschäft, das sei etwas 40 Jahren unter wechselnden Betreibern existiert, im Juli 2009. In ihrem Laden kommen viele Stammkunden vorbei.

Was die Menschen hier ausmache? Um das zu beschreiben, hat Rita Berg eine kleine Geschichte parat. Seit einiger Zeit hat sie eine Abmachung mit der Bäckerei Susdorf von gegenüber. Damit sich die Leute zu ihren Brötchen auch gleich die Zeitungen kaufen können, liegen dort einige Exemplare bereit, die Erlöse fließen an den Kiosk. Dennoch sei es so, dass viele sich weiterhin erst ihr Brötchen holen und danach den Kiosk ansteuern. Das sei bei den Älteren einfach so drin, die haben ihre Gänge und die halten sie ein, sagt Frau Berg lachend.

Der Weser-Imbiss ist ein Familienunternehmen: Vater und Sohn stehen gemeinsam am Spieß.

Auch Essen gehen kann man im Breiten Weg. Bekannt ist die Gaststätte Reichsadler wenige Meter hinter dem Kiosk und schrägt gegenüber der Bäckerei. Der schnelle Hunger kann im Weser-Imbiss in der Mitter der Straße gestillt werden. Seit fast zehn Jahren steht Tahir Arvis hier hinter dem Tresen, im ersten Jahr allein, seitdem unterstützt von seiner gesamten Familie. An diesem Tag hilft sein 18-jähriger Sohn Devran beim Döner zubereiten und Pizza backen. Die Kunden kommen nicht nur aus dem Klütviertel, sondern auch von außerhalb Hamelns, erzählt Arvis stolz. Besonders in der Mittagszeit herrscht im Imbiss großer Andrang. Dann sind auch viele junge Leute im Laden, man merkt, dass es in der Gegend mehrere Schulen gibt.

Die Geschichte der Straße

Der Breite Weg heißt so, weil es früher der breiteste Weg Richtung Helpensen und Hemeringen war, schreibt Gerhard Pieper im Buch der ‚‚Hamelner Straßen‘‘. Erstmals erwähnt wurde der ‚‚Brede Wech‘‘ im Jahr 1578 auf einer Karte. Aufgrund der Nähe zur Weser gab es mehrmals Hochwasser: So stand die Straße in den Jahren 1909 und 1946 unter Wasser. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Breite Weg erst länger und dann wieder kürzer geworden: In den 1950er Jahren wurden die Grundstücke hinter dem Lachsgrund bebaut, während Ende der 1906er und 70er Jahre einige Beäude am Anfang der Straße für den bau der Brücke weichen mussten.

Nachgezählt

  • Anwohner: 693
  • Davon männlich: 330, weiblich: 363
  • Anwohner unter 18 Jahren: 103
  • Hunde: 24
  • Gewerbe: 58
  • davon: 2 Bäcker
  • etwa 650 Meter lang
  • Bushaltestellen: 2
  • Litfaßsäule: 1
  • Zigarettenautomat: 1

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