Die Klütstraße: Urbanes Leben zwischen Jugendstil-Villen

In der Klütstraße erlebt man modern gewordene Tradition.

Ein Elch führt uns ins Wohnzimmer von Esther Wente und Thorsten Scheele. Kein echter Elch natürlich; ein Elch aus Pappe und Lichterketten, der auf dem Kachelofen steht und den ohnehin schon imposanten Raum noch einen Tick interessanter macht. Wer von außen versucht, einen Blick in die Hochparterre Wohnung des Hauses mit der Nummer 27 zu erhaschen, sieht nur diesen Elch, der den Raum in schummriges Licht taucht. Da müssen wir unbedingt klingeln.

Geschichten über Villen und Gärten

Den Lichterketten-Elch hat Esther Wentes Tochter gebastelt, „die wird sich freuen“, sagt die Mutter. Seit 2013 lebt sie hier mit ihrer Tochter, ihrem Lebensgefährten und – „in Teilzeit“, wie beide sagen – dessen Tochter. Ein kleines Patchwork-Glück in einer riesigen, umwerfenden Altbau-Wohnung mit Dielen und Stuck an der Decke. Wente und Scheele haben sich bei der Hamelner Kantorei kennen- und lieben gelernt, beide haben Töchter im selben Alter, beide sind leidenschaftliche Musiker. Thorsten Scheele spielt in mehreren Bands Keyboard, „aber nicht hauptberuflich“, sagt der junge Zahnarzt, der erst in diesem Jahr eine eigene Praxis in der Schlachthofstraße eröffnet hat. Dennoch: Die Instrumente der musikalischen Patchwork-Familie füllen ein ganzes Zimmer – das „Bastel-Musik-Ess-Zimmer“, wie Scheele es nennt. Darin: drei Keyboards, ein Klavier, eine Bratsche, eine Geige – „und bald vielleicht noch ein Flügel“.

Esther Wente und Thorsten Scheele leben in der Klütstraße in einem Albtau-Traum mit „Elch“ und „Bastel-Musik-Ess-Zimmer“.

Mit ihrer Leidenschaft für Musik stießen Esther Wente und Thorsten Scheele vor zwei Jahren in der Hausgemeinschaft prompt auf Gegenliebe. Niemand beschwerte sich über Krach, im Gegenteil: „Die anderen im Haus spielen ebenfalls Instrumente.“ Ohnehin sei die Gemeinschaft im Haus ganz besonders: Man trifft sich, man grillt zusammen. „Irgendwie ist das Klütviertel sowieso ein kleines Dorf“, sagt Esther Wente: Als sie vor zwei Jahren zurückkehrte – vor Jahren lebte sie schon mal am Klüthang – wurde sie direkt wiedererkannt und willkommen geheißen. Auf der anderen Seite sei die Klütstraße eine der wenigen Gegenden in Hameln, die etwas Großstädtisches, Urbanes haben.

Das Haus mit der Nummer 27 – wo Esther Wente und Thorsten Scheele hinter dreifach verglasten Fenstern („Anders geht es gar nicht“, sagen sie, angesichts der fast 14 000 Fahrzeuge, die täglich über die Klütstraße fahren) von einem eigenen Garten mit Hochbeeten und Obstbäumen träumen – ist, wie die Straße selbst, um die vorletzte Jahrhundertwende errichtet worden. Als Herrenhaus. Heute leben vier Parteien hinter den Mauern, vor Esther Wente und Thorsten Scheele lebte in der Hochparterre-Wohnung eine WG. Geschichten wie diese könnte man hundertfach erzählen von der Klütstraße: Von pompösen späthistorischen oder Jugendstil-Villen mit Blick auf den Klütturm und riesigen Gärten, die über Generationen in Familienbesitz waren und irgendwann leerblieben, die verfielen und abgerissen werden mussten oder die irgendwann ihren Weg auf den Miet- und Immobilienmarkt fanden. Ein Haus wie das, in dem die Wente-Scheele-Patchwork-Familie lebt, steht symbolisch für den Wandel, den die Klütstraße in den letzten Jahrzehnten erlebt hat – nicht nur mit dem Bau der Hochstraße am Brückenkopf. Ein anderes Gesicht des Wandels ist Doris Hanke. Seit 32 Jahren betreibt sie mit ihrem Mann Ludwig den „Grillimbiß am Klüt“. Dort, wo heute ein Schild an der Straße auf das Menü des Tages – Kohlrouladen – hinweist, stand früher eine von vier Tankstellen an der Klütstraße. Ende der 1970er Jahre wurde die Tankstelle geschlossen und die Tanks entfernt, 1983 pachteten die Hankes den heutigen Imbiss, den sie einige Jahre später kauften. 1999 bauten sie den hinteren Teil an.

Der Grillimbiß

Zwischen den vielen drei- bis vierstöckigen Altbauten der Klütstraße fällt der einstöckige Imbiss auf, eigentlich passt so ein bodenständiger Betrieb gar nicht so recht hierher, ins gehobene Klütviertel. Könnte man meinen. Doch ihre Kunden, sagt Doris Hanke, sind ihr treu, der Imbiss ist beliebt, auch dank des Verkaufsschlagers: des Klütburgers. Vieles im Inneren stammt noch aus den Anfangsjahren, die handgeschriebene Speisekarte über der Theke beispielsweise, die hausgemachten Grünkohl mit Bregenwurst, Frikadellen, Hot Dogs anpreist, die Tische und Stühle und – Doris Hanke überlegt – „die Theke ist auch schon mehr als 30 Jahre alt, oder, Heiko?“ Heiko ist Stammgast, auch heute ist er hier und trinkt seinen Kaffee.

Seit 32 Jahren betreibt Doris Hanke gemeinsam mit ihrem Mann den „Grillimbiß am Klüt“. Foto: nin

Gebürtig stammt Doris Hanke aus Würzburg, nach Hameln kam sie der Liebe wegen. Eigentlich sagt sie, war der Imbiss der Traum ihres Mannes – „heute schmeißt er die Küche und ich schmeiße den Laden“. Im nächsten Jahr allerdings soll Schluss sein damit, sagt die 63-Jährige: „Im Sommer wollen wir uns zur Ruhe setzen.“ Wie es dann mit dem „Grillimbiß am Klüt“ weitergeht, ist noch ungewiss. Noch suchen die Hankes einen Nachfolger – und sind optimistisch, diesen bald zu finden: „Es ist doch alles hier: Der Laden, die Einrichtung, die Karte, sogar die Kunden – was will man mehr?“

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Die Geschichte der Straße

Die Klütstraße wurde 1881 angelegt und schlängelt sich von der Weser aus am Fuße des Klüts stadtauswärts. Viele Häuser an der Klütstraße wurden im Stil der Zeit – Historismus oder Jugendstil – um die Jahrhundertwende gebaut und existieren bis heute. Bedeutend verändert hat sich seitdem vor allem die Einmündung: Als in den 1970er Jahren ein Teil der Pyrmonter Straße auf die Hochstraße verlegt wurde, mussten viele Gebäude weichen. Auch hat sich der Verkehrsfluss verändert: Bei der letzten Zählung im Jahr 2010 fuhren durchschnittlich 13300 Fahrzeuge am Tag durch die Straße – darunter viele LKW.

Nachgezählt

  • 1,7 Kilometer lang
  • 361 Einwohner
  • Davon sind 184 weiblich und 177 männlich
  • Davon Minderjährige: 59 (32 Mädchen und 27 Jungen)
  • 50 Gewerbe
  • 21 Hunde
  • Hausnummern von 1 bis 131, einige Nummern fehlen ganz

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