Seine Klingel hat Dieter Wüstenfeld abgestellt. Damit die Kinder nicht immer bimmeln. Sie ist die einzige funktionierende am Haus. Auf vielen Schildern in der Nachbarschaft steht gar nichts, deutsche Namen sind selten. Der 74-Jährige wohnt seit 1968 am Kuckuck. Wäre es einfacher, würde er längst in Rohrsen wohnen, in der Nähe seines Kyffhäuservereins. Aber am Kuckuck ist schon lange nichts mehr einfach. Ein wenig labil war das soziale Gleichgewicht schon immer. Die Umsiedlung von sozial Schwächeren in das Quartier nahe der Springer Landstraße hat Tradition. Seit Zuwanderer aus Rumänien, darunter viele Roma-Familien, den Kuckuck für sich entdeckt haben, ist die Situation heikel.

Meist bleiben die Neuen unter sich. Und so soll es bleiben, wenn es nach Dieter Wüstenfeld geht. Ihm reicht, was er sieht. Oder auch nur vermutet. Er erzählt von Müll auf der Straße und in Kellern und vom verdreckten Spielplatz.
Eine Frage der Anpassungsfähigkeit
Nun wohnt gegenüber niemand mehr. Die Tür ist nur angelehnt, Wände und Boden sind verdreckt. „Solche Wohnungen werden oft für Partys, Drogenkonsum oder zum Schlafen benutzt“, sagt ein Mitarbeiter der Firma, die den Auftrag hat, Rasen zu mähen und Müll zu entsorgen. Aber es sei besser geworden. Man habe sich arrangiert. Die Mieter räumen ihr Zeug weg, bevor die Firma kommt. Mathias Rübe weiß, woher der ganze Kram kommt. „Fernseher, Kühlschränke Fahrräder – der Kuckuck ist der größte Umschlagplatz für Gebrauchtwaren“, sagt der 49-Jährige. „Lkw laden auf und ab, vor allem am Wochenende.“ Schrotthändler Rübe und ein Teil seiner Familie wohnen seit 1982 am Kuckuck. Wegziehen würde er nie. „Warum auch? Ich wohne schon so lange hier!“ Er zeigt mit beiden Daumen auf die Brust: „Ich bin selber Zigeuner“, sagt er stolz. „Aber wir gehören zu den Sinti, und wir haben uns angepasst.“ Mit den neuen Nachbarn möchten Rübes nicht in einen Topf geworfen werden.
Für die Leute in den Häusern 7 bis 11 hat der Schrotthändler nicht viel übrig. Auch nicht für deren Gäste, die in Autos mit Kennzeichen aus Großstädten kommen. Er frage sich des Öfteren, wie viele Menschen in den Blöcken wohnen. Die Stadt kennt zumindest die offizielle Zahl rumänischer Zuwanderer am gesamten Kuckuck: Momentan sind es 94.
Eine von ihnen ist Livia Pitigoi. Die 29-Jährige mit dem schönen Gesicht ist groß – und hochschwanger. Sie bekommt ihr viertes Kind und wohnt in einem der „Problemblocks“. Ihr Mann hat einen 450-Euro-Job, man habe ihm eine Festanstellung versprochen. Livia fühlt sich wohl am Kuckuck, mit den Nachbarn habe es nie Streit gegeben. Sie wolle Deutsch lernen, doch wohin mit den Kindern? Vor allem mit dem Ältesten sei es schwierig, er habe Angst woanders. Ihr größter Wunsch: „Eine stabile Situation für meine Familie.“




„Dafür, dass an so viele vermietet wird, können die nichts“, sagt Mathias Rübe über die Nachbarn. Ein bisschen Mitleid hat er auch. Der Staat lasse diese Leute allein, sagt er, zieht an seiner Zigarette und schaut nachdenklich rüber zu den Blocks, wo Roma-Frauen auf einer ausrangierten Polstergarnitur zwischen den Häuserblöcken in der Sonne sitzen. Jungen und Mädchen spielen auf der Straße.
Einmal Kuckuck, immer Kuckuck
Das haben die Kinder der Alteingesessenen früher auch getan. Idyllisch sei es am Kuckuck immer gewesen. Ein bisschen verrufen, das wohl, denn die Stadt quartierte bereits Anfang der 1970er „die von der Pumpstation“ in die Siedlung um, erinnert sich Margarethe Hölzel, die dort seit 1965 wohnt. „Das waren kinderreiche Familien aus der Nordstadt.“ Die Hölzels besitzen eine Eigentumswohnung am Kuckuck und fühlen sich wohl – auch, wenn das Haus am Rande der Siedlung ungewohnt wirkt: gepflegter Vorgarten, Carport, heiler Zaun. Bei Hölzels blüht ein Meer von Stiefmütterchen rund um den Balkon.

Klar habe sie manchmal daran gedacht, zu verkaufen. Doch das ist am Kuckuck so schwierig wie wegziehen. Wer hier wohnt, ist stigmatisiert. Hören Vermieter, woher der Wohnungssuchende kommt, winken sie ab. Die Preise für die Häuser sind im Keller. Weil das so ist, hat Margarethe Hölzer sich entschlossen zu kämpfen. Die resolute Rentnerin hat sich fest vorgenommen, den Zuwanderern einige Tugenden nahezubringen. Vorbildhaft fegt sie die Gosse oder pflanzt Blumen – nicht nur bei sich. Ab und zu macht es einer nach. Es sind Ausnahmen, gibt sie zu. Und es gibt Rückschläge. Zum Beispiel bei der wöchentlichen Kleiderausgabe in der Begegnungsstätte Kuckucksnest. Wo sich vorher Dutzende einfanden, kommen jetzt nur noch zwei bis drei – weil die Ausgabe nun an einen Deutschkurs gekoppelt ist.
Eine, die hingeht, ist Mihaela Petrovici. Sie kommt aus Rumänien, lebt mit ihrem Mann Ovido seit September 2014 am Kuckuck. Auch er bemüht sich, Deutsch zu lernen. Manchmal fällt ihm das nach einem langen Arbeitstag schwer. Die Petrovicis grenzen sich ebenfalls ab von ihren Landsleuten. Es wohnen zu viele am Kuckuck, deshalb würden sie lieber woanders wohnen – auch, wenn ihnen der hintere Teil eigentlich gut gefällt. Das Beet draußen vor der Tür ist so hübsch bepflanzt wie das der Hölzels.
Ganz in der Nähe wohnen Gabriele und Frank Rehse. Sie würden lieber heute als morgen wegziehen. Weil jeder macht, was er will, sagen sie. Spät am Abend trauen sie sich nicht mehr aus dem Haus. Dann bleibt den beiden Frührentnern häufig nur der Fernseher.

Auch bei den neuen Nachbarn flimmert abends die Mattscheibe. Eine Schüssel haben viele Wohnungen. Nur bei einem bleibt der Apparat aus. „Fernsehen habe ich abbestellt“, sagt Dieter Wüstenfeld – „das bekomme ich alles live auf der Straße.“ Dort ist es inzwischen ruhig geworden. Nur vor den Blocks 7 bis 11 erklingt Lachen. Im letzten Tageslicht toben kleine und große Kinder herum.

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren
Die Geschichte der Straße
In den 1930er Jahren entstehen am Kuckuck erster Häuser im Rahmen des „Volkswohnungsprogrammes“. Das Darlehen beträgt 18000 Reichsmark. 1962 beschließt die Stadt, dass Hameln und Rohrsen zusammenwachsen sollen. Eine Siedlung mit Wohnblöcken, eingebettet in Grün und abgeschottet gegen Wohngelegenheit für Beschäftigte der Hamelner Industriebetriebe. Gleichzeitig wird Rohrsen mit an das Hamelner Kanalnetz angeschlossen. 1964 werden vier Häuser für AEG- und OKA gebaut, für Reintjes folgen acht. Insgesamt werden von der GWG 161 Wohnungen errichtet. 2006 trennt sich die HWG als Nachfolgerin von den Wohnungen.
Nachgezählt
- 228 Einwohner, davon 99 Frauen und 129 Männer
- 10 Hunde
- 36 Satellitenschüsseln
- 14 Straßenlaternen
- 2 bepflanzte Blumenbeete (vor Mietwohnungen)
- 36 Gewerbe
- 44 Häuser
- 8 Nationalitäten
- Acht Eigentrumswohnungen
- 1 Begegnungsstätte