Fischpfortenstraße: Auf dem Weg zum Wasser

Mit etwas Fantasie könnte der Eindruck entstehen, die Fischpfortenstraße, sie wirke mit ihrer Vielfalt und Individualität fast ein bisschen so wie ein „kleines Berlin“, alternativ und anders, nur in Hameln.

Schon von weitem steigt einem der Duft von Räucherstäbchen in die Nase. Die Fischpfortenstraße ist ein charmanter Seitenarm der Hamelner Fußgängerzone, in dessen Altbauten sich kleine Geschäfte niedergelassen haben und über denen noch immer und immer wieder mal eine Handvoll Leute wohnen. Mit etwas Fantasie könnte der Eindruck entstehen, die Fischpfortenstraße, sie wirke mit ihrer Vielfalt und Individualität fast ein bisschen so wie ein „kleines Berlin“, alternativ und anders, nur in Hameln.

Als Hippies durch Indien: Rainer Duckwitz kennt die Fischpfortenstraße seit fast 15 Jahren. Er mag die Straße, in der er arbeitet. Foto: nin

Tür an Tür mit Dönerkebab, Bekleidung für Wind und Wetter, Raumausstatter, Schneiderei, italienischer Trattoria, Weinhandel, Friseur, Computer-Spezialist und vielen anderen. Hier in der Fischpfortenstraße finden sich immer wieder aufs Neue ein paar winzige Lädchen ein, die dann bleiben oder wieder gehen, ausgesuchte Dinge verkaufen, noch unberührt, oder schon gebraucht, immer ein bisschen ab vom Mainstream.

Einmal im Jahr, immer zum ersten Samstag im Juli, gibt es ein Straßenfest. Dann hängen die Kaufleute Fahnen in die Häuserschlucht, stellen Tische Auf dem Weg zum Wasser und Verkaufsstände vor die Ladentür oder ein Lämpchen. Mit etwas Fantasie könnte einem der Eindruck entstehen, die Fischpfortenstraße, sie wirke mit ihrer Vielfalt und Individualität fast ein bisschen so wie ein „kleines Berlin“, alternativ und anders, nur in Hameln. Immer mal wieder wechselt das Angebot in der Fischpfortenstraße – und mit ihm die Menschen.

Der Hippie und sein Kunterbunt-Laden

„Ganz Hameln hat sich gravierend verändert“, sagt Rainer Duckwitz. „Als wir ’88 angefangen haben, gab es viele schöne inhabergeführte Geschäfte. Kleine Kaufhäuser, Spielwarenläden, alles Mögliche in der Innenstadt. Die sind alle weg.“ Duckwitz betreibt seit knapp 15 Jahren zusammen mit seiner Frau das Om Shanti in der Fischpfortenstraße, einen aus einer Hippie-Idee geborenen Kunterbunt-Laden für Asienliebhaber. Bei ihm im „sogenannten schiefen Haus von Hameln“ gibt es Schmuck aus Indien, Mode und Wohnaccessoires für den besonderen Geschmack.

Konsum-Einheitsbrei findet man hier nicht, dafür ist er mit seiner Frau in den achtziger Jahren viel zu oft über Land in Indien gefahren. Sein Geschäft ist eines von jenen, über denen auch noch jemand wohnt. „Sechs oder sieben Parteien. Das sollen ganz kleine, uralte Räume sein. Keine zwei Meter hoch.“ Selbst drin war Duckwitz aber noch nicht. Wieder nach Hameln kommen, stünde alles auf Anfang, würde Duckwitz vielleicht nicht, zu „spießbürgerlich“. In der Fischpfortenstraße ist er aber gerne. Also wird er bleiben.

Bettina Wambach hat hier nur einen „idealistischen Zwischenstopp“ gemacht. Ihr Stöberlädchen gibt es heute schon nicht mehr. Foto: nin
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Ein Stück weiter die Straße runter: „So, da müssen die Preisschilder jetzt gemacht werden. Das sind die neuen Sachen. Auch die bastel ich mir selbst, aus recyceltem Papier.“ Bettina Wambach ist noch nicht lange Teil der Fischpfortenstraße – und wird es auch nicht bleiben. Ihr gehört Bettys Stöberlädchen, Second-HandMode für Damen, Herren und Kinder. Nix umkommen lassen. Betty will möglichst gar nichts kaufen, es gibt ja schon genug. Das kann man wieder verwerten. „Bisschen idealistisch“, findet sie selber. Ihr Ladenlokal in der Fischpfortenstraße Nr. 23 hat sie mittlerweile aufgegeben. Heute dienen die Schaufenster als Ausstellungsfläche für „grabbe…räume gestalten“.

Die Nonne in der Badewanne

Wo sich die Fischpfortenstraße dem Ende zuneigt: Im Mittelalter ging man zum Baden in die Badestube. In der Fischpfortenstraße gab es eine. Ein Wasser für alle, erst die Reichen, dann die Armen. Der Vater von Annamaria Engelhardt-Gray kaufte das historische Eckhaus in den fünfziger Jahren, bezog mit seiner Frau und den Kindern die obere Etage und richtete unten eine Kneipe ein, die er „Zur Badewanne“ nannte.

Vor allem unter den englischen Soldaten war die Badewanne beliebt. „43 Leute haben hier gewohnt und keiner hat Miete gezahlt. Das war ganz schlimm. Es gab kein fließend Wasser und auch keine Badewanne“, erinnert sie sich. Ein Lumpensammler hatte im Haus gewohnt. „Meine Mutter wollte hier gar nicht einziehen.“ Annamaria war damals ein Jahr alt. Nach dem Tod des Vaters musste sie einspringen, seither steht sie hinterm Tresen, macht die Buchhaltung, hält alles in Schuss.

Das erste Bier zapfte Engelhardt-Gray mit 15 Jahren, heute ist sie über 60. Damals hatte sie gerade ihre Mittlere Reife an der Klosterschule in Duderstadt gemacht. „Ich wollte Nonne werden. Und dann in ’ne Soldatenkneipe“ – hat sie nicht gerne gemacht, sich aber daran gewöhnt. Sie erinnert sich an Bäcker Meyer von früher. „Der hat die Brotratten erfunden. Die habe ich als Kind mit sechs Jahren ausgetragen. Und die waren schwer.“ Aber gelohnt hat es sich. „Da gab’s ’ne Tüte Kuchen für.“

Den Kramerladen von Frau Pape, bei dem man auch zwischen den Öffnungszeiten mal hinten reingehen konnte, gibt es heute nicht mehr. Und das Treppchen, die Kneipe gegenüber, hat dichtgemacht. Dass die Briten letzten Sommer abzogen, tut etwas weh. „Schließlich habe ich 45 Jahre mit ihnen gearbeitet.“

Die Nonne in der Soldatenkneipe: Wirtin Annamaria Engelhardt-Gray gehört zur Fischpfortenstraße wie die „Badewanne“. Foto: nin
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Geschichte der Fischpfortenstraße in Hameln

Weil sie zu einer der beiden Pforten führte, die den Zugang zur Weser durch die Stadtmauer ebnete, wurde die Fischpfortenstraße 1386 zum ersten Mal als „visportenstrate“ erwähnt. Hier an ihrem unteren Ende war der Anlegeplatz für die Schiffe, wurden die Waren gelöscht, die für Hameln bestimmt waren, hierher kamen die Leute, um die großen Lachse von der Weser zu holen.

Das Wilhelm-Busch-Haus wurde nach dem humoristischen Dichter und Zeichner benannt, der seine Verwandtschaft besuchte, die 1847 hier eingeheiratet hatte. Im 17. Jahrhundert wurde das Stockhaus errichtet, in dem Gefangene untergebracht wurden und eine schwere Strafe verbüßten.

1713 ersetzte ein moderneres das alte Stockhaus. In den 1820er Jahren bewirkte der Bürgermeister den Bau eines neuen Gebäudes südlich des Münsters, womit das Stockhaus Geschichte war.

Bahnhofstraße in Zahlen

  • 150 Meter lang
  • 23 Hausnummern
  • 2 Laternen
  • 73 Anwohner (laut Einwohnermeldeamt)
  • 2 Hunde
  • 20 Gewerbebetriebe
  • 18 Gullideckel
  • 3 Mülleimer
  • 32 kleine Gummideckel
  • 15 Straßenschilder
  • 9 Hausinschriften
  • 1 silberner „Where is the love?“– Edding-Schriftzug neben Haus Nr. 4

Die Fischpfortenstraße in Bildern

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