Bahnhofstraße in Hameln: „Haus im Grünen? Was soll ich damit?“

Die Bahnhofstraße ist eine Multikulti-Meile – und genau das schätzen die Anwohner. In unserer Serie porträtieren wir Hamelns Straßen: ihre Geschichte(n), ihre Besonderheiten, ihre Menschen.

Die Bahnhofstraße ist eine wahre Multikulti-Meile. Neben einem türkischen Friseur gibt es einen Pizza-Bringdienst und eine Drogeriekette, weiter vorne eine Apotheke und im nächsten Schaufenster schaukelt eine goldene WinkeKatze im Asia-Laden vor sich hin. Immer wieder dazwischen: der eine oder andere Leerstand. „Laden zu vermieten“, „Zu vermieten“, „Bei Interesse melden unter …“ – wer an der Bahnhofstraße ein Geschäft eröffnen möchte, hat schon ein wenig Auswahl. Diesen Mix aus vielen Kulturen, Leerstand, aber auch bewegtem Leben und Straßenverkehr, kann man hassen – oder auch mögen. So wie Hansjürgen Schäl.

Hansjürgen Schäl wohnt seit zwei Jahren an der Bahnhofstraße und war über den Straßenlärm zunächst doch recht erstaunt. 

Seit zwei Jahren wohnt er an der Bahnhofstraße und war kurz nach dem Einzug über zwei Dinge überrascht: über den Lärm und die Stille. Durch die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite schalle der Lärm ziemlich nach oben. „Mit offenem Fenster schlafen? Das kann man hier auf keinen Fall“, sagt Schäl. Dass es so laut ist, hätte er beim Einzug nicht erwartet. Erstaunt war er allerdings darüber, dass von den Bahngleisen direkt hinter dem Haus so gut wie kein Lärm herüberschallt. „An dieser Stelle rollen die Bahnen ja nur ein oder aus. Der Störfaktor ist gleich null“, sagt Schäl. Dass er alle Geschäfte, die man benötigt, direkt vor der Tür hat – genau das schätzt der 47-Jährige an der Bahnhofstraße. „Auch bei der Arbeit bin ich in fünf Minuten“, erklärt Schäl.

Geschichte der Bahnhofstraße in Hameln

Die Bahnhofstraße wird erstmals um 1881 erwähnt und galt lange Zeit als Verbindung zwischen Innenstadt und Bahnhof. Hameln erhielt seinen ersten Bahnanschluss 1872, als am 13. April die Strecke Hannover–Altenbeken eröffnet wurde. Nachdem die Bahnhofstraße mit den Jahren immer weiter ausgebaut worden war, wurde sie bei einem Luftangriff am 14. März 1945 stark in Mitleidenschaft gezogen. An diesem Tag wurde Hameln von 25 Flugzeugen bombardiert, wobei Gebäude in der Bahnhofstraße, der Kreuzstraße, der Deisterstraße, der Stüvestraße, der Walthäuser Straße und am Hastenbecker Weg am schwersten getroffen wurden. Aktuell ist die Bahnhofstraße in der Diskussion, weil auf dem Brunnenplatz an der Ecke zur Deisterstraße mehrere Bäume gefällt werden sollen.

Die zentrale Lage sei ein erheblicher Faktor auf der ProSeite der Bahnhofstraße. Auf der Kontra-Seite steht allerdings, dass die Straße – die eine 30er-Zone ist – laut Schäl gern mal „als Rennstrecke“ missbraucht wird. Auf die Frage, ob er wieder an die Bahnhofstraße ziehen würde, kann Schäl keine schnelle Antwort geben und überlegt lange. „Nein, wahrscheinlich nicht“, erklärt er. Aktuell habe er ohnehin andere Pläne. Früher war an der Bahnhofstraße noch mehr los als heute.

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Nicht, dass früher mehr Straßenverkehr herrschte. Es gab Festmeilen und Veranstaltungen. Bis vor ein paar Jahren fand sogar „Mystica Hamelon“ an der Bahnhofstraße statt, ehe das Fest zu groß wurde und in die Innenstadt verlegt wurde. Auch das „Matjesfest“ wird manchem Hamelner noch gut in Erinnerung sein. Wenn sich im Mai der Geruch von Fisch und Kartoffeln über den Asphalt legte, die Straße gesperrt wurde, damit zu den verschiedensten Fischgerichten, Bier und Livemusik gefeiert werden konnte.

Dass die Straße aber mit den Jahren an Attraktivität verloren hat, sagt Wilhelm Bergmann.

Die Bahnhofstraße als Ort des Geschehens und als pulsierende Einkaufsmeile zu erhalten, dafür setzt sich die Werbegemeinschaft Bahnhofstraße ein. Die Hauptziele seien, „den Handel zu stärken“ und „Ansiedelungsbemühungen in Zuständigkeitsbereich“ zu unterstützen. Wilhelm Bergmann ist an der Bahnhofstraße aufgewachsen. Er hat den Wandel der Straße miterlebt. „Schade ist, dass die Straße mit der Zeit an Attraktivität verloren hat“, sagt Bergmann. Das habe unter anderem mit dem Internethandel, aber auch mit großen Einkaufszentren wie der Stadtgalerie zu tun. An der Bahnhofstraße schätzt Bergmann die zentrale Lage. „Und ich habe es nicht weit zur Arbeit“, sagt der 57- Jährige und lacht. Seine Wohnung befindet sich im gleichen Haus wie sein Geschäft. Seit 78 Jahren ist „Elektro Bergmann“ an der Bahnhofstraße ansässig. Seitdem wohnt auch immer ein Bergmann in der darüberliegenden Wohnung. „Viele der Geschäftsleute hier wohnen auch an der Bahnhofstraße“, weiß Bergmann.

Bahnhofstraße in Zahlen

  • Anwohner: 272
  • Davon männlich: 147, weiblich 125
  • Anwohner unter 18 Jahren: 82
  • Hunde: 8
  • Gewerbe: 67
  • etwa 350 Meter lang
  • 130 000 Google-Ergebnisse
  • Bushaltestellen: 1
  • Parkticket-Automaten: 4
  • Zigarettenautomat: 1
  • Einbahnstraßen-Schilder: 1
  • T-Kreuzungen: 2
  • 30-Zonen-Schilder: 2

So wie Inga Gernart. Seit 18 Jahren wohnt sie über ihrem Fachgeschäft und würde auch nicht mehr wegziehen. „Viele sagen uns: Kauft euch doch ein Häuschen im Grünen. Aber was soll ich denn damit?“, so Gernart. Sie sei glücklich an der Bahnhofstraße. Mit dem Multikulti-Mix, mit der Stadtnähe, der guten Anbindung und den Parkplätzen direkt vor der Tür und im Hinterhof. Dass auf der Bahnhofstraße viel Verkehr herrscht, stört die 41-Jährige weniger. Zum Abend hin werde es ohnehin leiser.

Inga Gernart ist vom Charme der Straße überzeugt. So schnell würde sie hier nicht mehr wegziehen.

„Und wir haben unseren Balkon zur anderen Seite hin raus. Zu den Bahngleisen. Deswegen sind wir aber auch ganz stark gegen den Güterverkehr in Hameln.“ Dass die Straße sich in den letzten Jahren verändert hat, das erzählt auch Gernart. Feste gäbe es nicht mehr. „Die Schwierigkeit ist nämlich, dass dafür die ganze Straße gesperrt werden muss.“ „Ich glaube, dass die Bahnhofstraße oft genug unterschätzt wird“, sagt Gernart. Sie wüsste nicht, wo es in Hameln etwas Vergleichbares gäbe. Die Bahnhofstraße habe schlichtweg den Vorteil, dass viele verschiedene Nischen bedient würden.

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