Der Windmühlenweg: Zwischen Wind und Weser

Der Windmühlenweg ist so standhaft wie sein Wahrzeichen.

Wenn es still ist, im Windmühlenweg und der Wind aus Westen weht, dann ist es vielleicht zu hören: das leise Knatschen und gleichmäßige Rütteln der vier Blätter von Karls Mühle. Dann steht er oben im Dach des Erdholländers und hat die massive Bremse losgemacht. Vielleicht, wenn er vorher einen Anruf vom Dampfer auf der Weser bekommt und man ihn fragt: „Karl, kannst du mal die Blätter anmachen?“

Der Windmühlenweg in Tündern liegt im Weserbogen. Wer dort auf dem Radweg unterwegs ist, kommt auch irgendwann auf dem Deich an der alten Windmühle vorbei. „Die wird fotografiert, es ist kaum zu glauben“, sagt Ursula Wöhler, die seit über 50 Jahren an der Seite der „alten Lady“ weilt – sie wohnt gegenüber. Das Haus ihrer Familie war das Erste, das der Mühle eine Nachbarschaft bescherte. Frau Wöhler ist froh, dass Karl Lampe den bauchigen Zeitzeugen 1981 nach seinem Schicksalstag wieder aufpäppelte, als ein Blitz einschlug und die Mühle brannte. „Zum Glück hat er daraus kein Café oder eine Raststätte gemacht“, – Ursula Wöhler mag es so, wie es ist.

Die 132 Jahre alte Windmühle, die der Müller Redecker aus Börry im Jahr 1883 baute, gab der Straße ihren Namen und Tündern heute ein besonders seltenes Wahrzeichen. Karl Lampes Großvater, Carl Lampe, pachtete und kaufte die Mühle nach achtjähriger Wanderschaft. „Es muss ein schlechter Müller sein, dem niemals fiel das Wandern ein“, sagt er. Wer Karl Lampe in seiner Mühle antrifft, dem fliegen die alten Müllerweisheiten, -gedichte und -lieder nur so entgegen.

Ein Kleinod ist das, sagt Lampe. Er hegt und pflegt die Mühle, die seit drei Generationen in Familienbesitz ist. Karl Lampe (79) ist noch einer von der Sorte, die erarbeitet, um zu besitzen. In guter Tradition begann auch er eine Müllerlehre in Aerzen. Ausgerechnet eine Mehl- und Stauballergie setzte dem Traumberuf ein jähes Ende. Seiner Müllerlust tat das aber keinen Abbruch.

Die Hütte am Ende des Weges

Im Inneren der Mühle hortet der 79-Jährige historische Dokumente und Erinnerungen aus einer vergangenen Zeit – und trägt die alten Sprüche und Bräuche mit schauspielerischem Talent vor. „Hier, das ist das zehnte“, sagt Lampe und zeigt auf seine proppenvollen Gästebücher. „Rumprahlen“ will er nicht, aber stolz ist er schon. Besonders auf den Eintrag eines Chinesen. Denn wann verirrt sich ein Asiat auf Reisen schon mal in eine kleine beschauliche Straße abseits des Stadtgeschehens, wie den Windmühlenweg … Karl Lampe meint, der gesamte Windmühlenweg ist sicher schon in seiner Mühle gewesen. Die Hütte am Ende des Weges ist sowieso des Öfteren voll. Lampe schleust seit Jahren die eine
oder andere Besuchergruppe, Schulklasse und Feiergesellschaft mit Hingabe durch die vier Stockwerke seines Erdholländers.

Susanne Kölsche (51), etwas weiter den Windmühlenweg runter, kennt das schon. „Ob wir von der Windmühle was mitbekommen? Ja, sehr viel. Herr Lampe hat seine Führungen. Das macht er toll für die Kinder. Manchmal kommen sie in Reisebussen“, sagt Kölsche. Karl und seine Frau Heide haben drei Kinder und die haben wieder acht Kinder. Das Schlimmste, das tut ihm im Herzen weh, das sei das Mühlensterben. Und so hofft er, dass seine Kinder fortführen, was vor mehr als 130 Jahren den Windmühlenweg zu eben diesem machte. Doch noch nimmt er Stock und Bündel selbst in die Hand.

Das Leben in der Straße mit der einzigen Windmühle im Landkreis genießt Ursula Wöhler in vollen Zügen. Im Sommer sitzt sie im Garten auf der Sonnenterrasse, dann ist der Garten „ein Genuss“. Von dort und vom Wohnzimmer aus hat sie eine „wunderbare Aussicht“. Eigentlich haben Frau Wöhler, ihr Gärtner und die Reinemachefrau nur gute Aussichten. Vom Arbeitszimmer aus nämlich blicken sie direkt auf Lampes Mühle. „Ein schöner Nachbar“, sagt sie. Und familiär sei es im Windmühlenweg. „Man klönt am Zaun, kennt und hilft sich.“ Hier ist es ruhig, und das schätzt Frau Wöhler. „Wie sich die Welt geändert hat …“, sagt sie und ist dabei ganz froh, dass hier die Mühlen noch ein bisschen langsamer mahlen.

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Die Geschichte der Straße

Die Geschichte des Windmühlenweges beginnt 1883, als der Müller Redecker die Windmühle wenige Hundert Meter zum Weserufer erbaute. Ein schmaler Feldweg führte damals vom Dorf zur Mühle. Für 1300 Goldmark baute der spätere Besitzer Carl Lampe Senior das Müllerhaus. 1964 kam der erste Nachbar hinzu, und die Straße wurde besiedelt. Bevor sie 1973 mit der Eingemeindung Tünders in Hameln zu ihrem Namen „Windmühlenweg“ kam, sprachen die Leute schlichtweg vom Mühlenweg.

Nachgezählt

  • 350 Meter lang
  • 58 Anwohner
  • 31 Frauen und 27 Männer
  • 6 und 18, 32 zwischen 19 und 59 sowie 20 über 60 Jahre
  • 2 Gewerbe
  • 5 Hunde
  • Hausnummern von 1 bis 23
  • Ein Müller
  • Eine Windmühle

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