Die Deisterstraße ist wie ein Kessel Buntes oder ein Schmelztiegel auf mittlerer Hitze. Polen, Türken, Jugoslawen, Deutsche, Griechen, Italiener und Araber leben und arbeiten hier Tür an Tür. Das ganze „Multi-Kulti“, wie die Anwohner sagen, schenkt der Straße ein urbanes Flair. Hier ist immer mehr los, mit Betonung auf mehr.

Zwischen Straßenlärm und Kebap-Duft
„Das ist die dritte Hamelnstraße: Osterstraße, Bäckerstraße, Deisterstraße“, zählt Mehmet Ercan auf, danach überlässt er das Reden wieder seinem Sohn. Mehmet hat nie richtig Deutsch gelernt. „Das bereut mein Vater sehr“, sagt Ismail. „Viel los hier, aber die andere Seite von der Straße ist tot“, meint Mehmet. Er hat recht. Während auf einer Seite alle Häuser bewohnt und die Läden dicht gedrängt sind, sieht es gegenüber verlassen aus. Seit 18 Jahren hat Familie Ercan schon einen Einkaufsmarkt hier. Ein Laden an der Deisterstraße, das war der größte Traum von Vater Mehmet.

Als der kürzlich in Rente ging, hat seine Tochter das Geschäft übernommen. Der Juwelier nebenan gehört seit 1999 auch dazu. Ganz hinten im Markt ist eine Fleischtheke, „alles halal“, sagt Ismail, das heißt nach muslimischen Regeln geschlachtet. Ein großer Mann, dessen Nachnamen, „nicht mal der Postbote“ entziffern kann, wie Ismail sagt, zerteilt hinter der Fleischtheke ein Hühnerbein. In den Regalen davor stapelt sich Abgepacktes. Das Gemüse steht natürlich draußen, wie häufig bei türkischen Märkten. Von Henna bis zu türkischen Nudeln, die sich eigentlich nicht von den deutschen unterscheiden, haben die Ercans alles da. Viele Kunden wollen, was es bei Mutter in Anatolien schon gab. „Manche hängen zu sehr an so was“, sagt Ismail. „Hier ist Multi-Kulti“, sagt er. Das gefalle ihm am besten. „Einen Dolmetscher findet man hier an jeder Ecke, wenn man mal jemanden nicht versteht.“ Und die Geschäftsleute, die halten zusammen. Gehen zum Tee trinken bei den Kollegen vorbei, plaudern kurz und gehen wieder. Seitdem immer mehr Bettler die Straße entlangstreiften, seien alle allerdings etwas verdrießlich.
Musik in schlechter Lage
Weiter nördlich hat Roman Klotkowski sein Musikgeschäft. Den hat er vor neun Jahren von Schimmeyer übernommen und einfach alles so gelassen. „Das hier ist keine gute Lage, aber 40 Jahre ein Musikladen hier, die machen schon was aus“, findet er. Die Einrichtung im Laden scheint, nachdem sie in den 70ern modern war, einmal den Kreislauf der Trends durchlaufen zu haben. Jetzt ist sie bei authentisch und retro angelangt.

Der braune Teppich und die angestaubten Regale wirken fast wie konserviert. „Solange ich weiß, dass es den Kunden noch gefällt, lasse ich das so“, sagt Klotkowski. In 40 Bands hat der 53-Jährige schon mitgespielt. Einmal ist er beim „Kahn der guten Laune“ mit Achim Menzel im MDR aufgetreten, darüber muss er selbst lachen. Längst ist der Klavierunterricht, den er in einem Hinterzimmer des Ladens erteilt, sein Garant für ein ausreichendes Einkommen. Verkauf und Reparatur von Musikinstrumenten laufe eher schlecht, „ich habe versucht, im Internet zu verkaufen, aber mit den großen Anbietern kann ich nicht mithalten“.




Früher hat Klotkowski mal in der Deisterstraße gewohnt. Er mag dieses Fleckchen Hameln sehr. „Das Schönste hier sind die Gärten hinter den Häusern mit Sitzecken für alle Bewohner“, sagt er. „Du kommst aus dem Haus und die Straße lebt, es geht um das Gefühl, das Flair“, sagt er. Nur der Autolärm und die „Startwettbewerbe am Wochenende an den Ampeln“ gehen ihm auf die Nerven. Früher, als Anwohner, habe er die Vorzüge, besonders das Einkaufsangebot, auf der Straße nicht so ausgiebig genutzt. Mittlerweile tut er das. „Mal bei Balutsch essen oder hier zum Friseur, die haben zwar einen eigenen Stil, schneiden ganz schön kurz, aber… ja.“
Lebendiger als woanders
„Bisschen lang oben, hinten und Seiten kurz“ ist Adnan Yilmaz‘ Spezialität. In seinem Friseurladen, in dem es nach scharfem Färbemittel riecht, ist das der beliebteste Haarschnitt. In zehn Minuten schert und schnippelt er männlichen Kunden den Verkaufsschlager aufs Haupt. Dazu gibt es schwarzen Tee.

Am Ende werden Ohrhaare abgeflämmt und Brauen mit einem Faden gezupft. Adnan nimmt ein Stück in den Mund, formt eine Schlinge mit den Fingern und zieht sie blitzschnell. So zupft er die Augenbrauen eines Stammkunden, den er nur „alter Mann“ nennt, worauf der jedes Mal lacht. „Deisterstraße ist gut, viel Kundschaft“, sagt der Chef, „ist lebendiger als woanders.“

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren
Nachgezählt
- 500 Anwohner
- 114 davon sind unter 18
- Hausnummern gehen von 13 bis 90
- 87 Gewerbebetriebe
- 3 Supermärkte
- 3 Dönerläden
- 2 Apotheken
- 14 Satellitenschüsseln
- 17 Laternen
- 2 Kondomautomaten
- 9 Blumenkübel vor Geschäften
- 26 Straßenpoller
- viel zu wenig Parkplätze (sagen die Anwohner und Geschäftsleute dort)