Die Heinrichstraße habt ihren Ruf weg. Auch wenn sie 2005 den Preis „Schönste Straße“ erhielt, haftet ihr der Ruf des Schlechten an. Nicht, weil die Heinrichstraße selbst unansehnlich ist, sondern weil sie bekannte „Nachbarn“ hat. Die Heinrichstraße geht von der Kaiserstraße ab, wird von der Kaiserstraße ab, wird von der Königstraße gequert und oft mit beiden in eine Schublade gesteckt. „Was? Da wollt ihr hinziehen? In diesen sozialen Brennpunkt?“, hörte auch das Ehepaar Scheunpflug oft genug, als es vor 14 Jahren vom Klütviertel an die Heinrichstraße zog. „Für uns war aber die Stadtnähe ausschlaggebend“, erklärt Ingrid Scheunpflug.

Verdiente Auszeichnung als schönste Straße
Die Heinrichstraße, die im hinteren Teil als eine Sackgasse endet, scheint zwei Gesichter zu haben, die zuerst rein optisch voneinander zu trennen sind. So ist der erste Abschnitt mit Kopfsteinpflaster ausgestattet, die Häuser sind um 1900 gebaut, manche weisen einen Renovierungsbedarf auf. Nach der Querung der Königstraße bietet sich jedoch ein anderes Bild. Hier sind die Häuser jünger, die Fassaden gepflegter und die Asphaltdecke geschlossen.


Eine Besonderheit des hinteren, jüngeren Teils sind die Blumenbeete. Die werden von den Anwohnern eigenständig bepflanzt und betreut. In den letzten Jahren sei es jedoch schwieriger geworden, Freiwillige zu finden, wissen Scheunpflugs. „Wenn jemand wegzieht und sich dann niemand mehr findet, der das Beet betreut, wird es schwierig. Daher mussten wir auch schon drei Beete an die Stadt zurückgeben“, so Ingrid Scheunpflug. Das Ehepaar betreut derzeit zwei Beete. Die Auszeichnung für die schönste Straße hat die Heinrichstraße vor allem dieser Initiative zu verdanken. Die Zwiebeln, die zur Pflanzzeit in die Erde der Beete gesetzt werden, bezahlen die Betreuer der Beete aus eigener Tasche. Früher, so wissen Scheunpflugs, habe man die Kosten mit dem Erlös eines jährlichen Straßenfestes decken können.
Eine Straße zum alt werden
Das Straßenfest an der Heinrichstraße ist jedoch nicht mehr aktuell. Irgendwann verlief die
Idee im Sand, es fand sich niemand, der die aufwendige Organisation auf sich nehmen wollte. Zuvor stand für das Straßenfest auch das nahe gelegene Gemeindehaus zur Verfügung. Nachdem das Haus an der Heinrichstraße 13 verkauft wurde, fiel diese Option endgültig weg. Es bestünde jedoch Hoffnung, das Straßenfest wieder aufleben zu lassen, wissen Scheunpflugs. Eine Nachbarin habe angedeutet, dass sie sich vorstellen könne, sich darum zu kümmern. Die vergangenen Feste haben die Anwohner sehr gut in Erinnerung. „Jeder brachte etwas mit, die Leute haben auf der Straße getanzt“, weiß Ingrid Scheunpflug.
Auch Anwohnerin Gerda Beck verweist bei der Frage nach Besonderheiten der Straße auf das Fest. „Wir sind schon eine tolle Straße, unsere Sackgasse hier“, so Beck liebevoll. Seit 1977 wohnt sie an der Heinrichstraße und ist noch immer sehr zufrieden mit der Wohnsituation. „Ich sag immer, hier stirbt man so weg.“ Das meine sie aber natürlich im positiven Sinne. Einige ihrer Nachbarn wohnen in dem Haus, seit es 1972 gebaut wurde. Es sei eine wirklich schöne Nachbarschaft.
Ein beliebtes Ritual ist der Heinrichstraße jedoch geblieben: der Herrnhuter Stern. An jedem ersten Advent eines Jahres wird der Kunststoffstern über der Straße gespannt und bleibt dort bis zum Dreikönigstag „Schon vorher fragen die Leute, ob der Stern auch in diesem Jahr wieder hängen wird“, so Ingrid Scheunpflug. Der Stern wurde vor einigen Jahren vom Erlös des Straßenfestes gekauft. Auch ein Grill wurde damals angeschafft und wartet auf seine Reaktivierung. Die Bewohner der Heinrichstraße beschreibt eine Anwohnerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, als bunt gemischt. „Es wohnen viele junge Menschen, aber auch ältere Paare und große Familien hier“, sagt sie. Viel Kontakt habe man in der Straße nicht. „Ich kenne eigentlich nur meine Nachbarn hier im Haus, man grüßt sich.“ Mit den Nachbarn ringsherum habe sie aber nicht viel zu tun, verrät die Anwohnerin, die seit vier Jahren im vorderen Bereich der Heinrichstraße wohnt. Ingrid Brakhan, aus dem Haus gegenüber, hat da einen ähnlichen Eindruck, hebt aber die Bekanntschaften, die bestehen, positiv hervor: „Eine türkische Familie hat das Haus gegenüber gekauft und zu denen haben wir einen super Kontakt.“

Scheunpflugs sprechen von einer Identifikation mit der Straße und einem Zusammenhalt. Den vorderen Bereich beschreibt Brakhan hingegen als „fremd“. Es entsteht der Eindruck, als würde die Königstraße die Heinrichstraße nicht nur rein physisch spalten, sondern auch in zwei Lager teilen: den vorderen Teil, anonym, in sich gekehrt und laut der Anwohner mit einer höheren Fluktuation – und den hinteren Teil, gemeinschaftlich und kontaktfreudig. Am Ende der Sackgasse befindet sich ein Garten mit Spielgeräten. In einem Schaukasten weisen Flyer darauf hin, dass der Natur-Erlebnis-Garten donnerstags, mittwochs und samstags von Kindern zwischen 6 und 12 Jahren genutzt werden kann. Zum Toben, zum Spielen und dazu, die Natur kennenzulernen. Die Organisation rund um den Garten hat laut Scheunpflugs bei manchem Anwohner schon für Unmut gesorgt. Was genau vorgefallen ist, dass verraten die Anwohner nicht. Mittlerweile hätten sich die Wogen aber auch geglättet.

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Die Geschichte der Straße
Benannt ist die zweigeteilte Sackgasse in der Nähe des Hamelner Bahnhofs mit großer Wahrscheinlichkeit nach Prinz Albert Wilhelm Heinrich von Preußen (1862-1929), dem Sohn von Kaiser Friedrich dem Dritten, der auch als 99-Tage-Kaiser in die Geschichte einging. Warum gerade dieser Prinz für die Namensgebung gewählt wurde, ob er vielleicht einmal in Hameln zu Besuch war, ist nicht bekannt. Passend dazu ist die Heinrichstraße jedoch von der König- und Kaiserstraße umgeben, auch die Prinzenstraße ist nicht weit entfernt. Laut Informationen des Hamelner Stadtarchivs ist die Heinrichstraße in den Akten erstmals im Jahr 1895 erwähnt, wobei es sich hier nur um den vorderen Abschnitt handeln kann. Der hintere Straßenteil wurde erst später erbaut und ist damit wahrscheinlich wesentlich jünger.
Nachgezählt
- 230 Meter lang
- 20 Hausnummern
- 160 Anwohner: 74 Männer und 86 Frauen
- 2 Hunde
- 7 Straßenlaternen: Alle auf der rechten Straßenseite
- 9 Gullideckel
- 0 Mülleimer
- 1 Zigarettenautomat
- Tempo 30 Zone und Sackgasse
- 2 gelbe Eckhäuser: Alle anderen Häuser der Straße sind weiß oder aus rotem Backstein